Seit dem 31.01. sind die Bürgerinnen und Bürger in Bayern dazu aufgerufen, sich für das „Volksbegehren Artenvielfalt“ einzutragen. Dieses, so die Initiatorinnen und Initiatoren, soll die ökologische Landwirtschaft fördern. Ein Statement zur aktuellen europäischen gemeinsamen Agrarpolitik.
„Der Hunger ist das schwerste Hindernis für die demokratische Entwicklung eines demokratischen Deutschlands“, blickte der spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer 1946 mit Besorgnis auf die Not der vom Zweiten Weltkrieg zerstörten Städte. Aus diesem Geist der Hungerjahre heraus ist die Gemeinsame Agrarpolitik als eines der ältesten Politikfelder der EU entstanden. Heute stellt die Förderung der Landwirtschaft mit 59 Milliarden bzw. knapp 40% des gesamten Europäischen Haushaltes einen der größten Posten dar.
Allerdings ist Hunger den meisten Menschen in der Europäischen Union nur noch aus Erzählungen von einst bekannt. Der Produktionswert des europäischen Agrarmarktes belief sich 2017 auf eine Summe von 427,4 Milliarden Euro. Lebensmittel sind günstig wie nie zuvor. Die niedrigen Preise bezahlen jedoch Natur, Umwelt, Bäuerinnen und Bauern sowie Bürgerinnen und Bürger auf ihre Weise.
Die große Herausforderung der Zukunft wird es seine Ökonomie und Ökologie zu verbinden.
Seit vielen Jahren ereignet sich ein massiver Rückgang der Bienenvölker, der auch als Colony Collapse Disorder kurz CCD in Fachkreisen bekannt ist. Neben dem intensiven Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden wird vor allem der Anstieg der Monokultur sowie der Rückgang der Blütenvielfalt als Ursache vermutet. Aber die Biene steht hier nur sinnbildlich für ein weltweites Insektensterben. Dies ist umso bedenklicher, hängen doch 1/3 der weltweiten Ernährung direkt von der Bestäubungsleistung verschiedener Insekten ab.
Gleichzeitig gefährden die intensive Bewirtschaftung von Ackerflächen und sogenannte „Agrarfarbriken“ mit tausenden von Tieren unsere Lebensgrundlage selbst. Immer wieder ist zu verzeichnen, dass die Nitratwerte im Grundwasser ein bedenkliches Maß erreicht haben. Während einerseits die Betriebsgrößen von landwirtschaftlichen Betrieben immer weiter zunehmen, haben Klein- und Kleinstbauern mit dem wirtschaftlichen Überleben zu kämpfen.
Aktuelle Förderungspraktiken begünstigen Großbetriebe, da diese vor allem nach Größe erfolgen. Schließlich zahlen auch die Verbraucherinnen und Verbraucher ihren Preis für die günstigen Lebensmittel. Niedrige Preise, insbesondere bei Fleischerzeugnissen, lassen sich nur unter dem extensiven Einsatz von Antibiotika und Hormonen halten, mit letztlich Folgen für die menschliche Gesundheit.
Die Initiatorinnen und Initiatoren des „Volksbegehrens Artenvielfalt“ fordern, dass ab 2025 25% bzw. ab 2030 30% der landwirtschaftlich genutzten Fläche nach Prinzipien ökologischer Landwirtschaft bewirtschaftet werden soll. Diese Forderung wird insbesondere von Landwirten kritisch gesehen. Das aktuelle Greening-Verfahren als Voraussetzung für Agrarförderung verpflichte bereits jetzt zur Beachtung ökologischer Prinzipien. Eine gesetzliche Verbindlichkeit höherer Werte gefährde weitere wichtige Fördergelder zur wirtschaftlichen Existenz der Betriebe. Gegner argumentieren, das Volksbegehren berücksichtige die Situation der Landwirte zu wenig. Die Ableistung einer Unterschrift diene als reine ökologische Gewissenserleichterung.
Vielleicht kommt das Umdenken mit dem Essen. Es ist festzustellen, dass die Landwirtschaft für die Abmilderung der Folgen des Klimawandels eine immer wichtigere Rolle spielen wird. Ob eine gesetzliche Verpflichtung oder Anreize zur Freiwilligkeit der effektivere Weg sein mögen, kann nur im regen Austausch zwischen Bürgerinnen und Bürgern, Bäuerinnen und Bauern und Politik beantwortet werden. Das Volksbegehren „Artenvielfalt“ hat es geschafft, eine wichtige Debatte rund um die Frage der Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie in der Landwirtschaft anzustoßen. Hierbei ist es zu einfach, die Verantwortung auf eine Seite zu schieben. Aktuell werden pro Person immer noch 173 kg Lebensmittel pro Jahr weggeworfen. Ein Volksbegehren kann selbst noch keine Lösung bieten, liefert höchstens Gedankenfutter für jede und jeden, selbst aktiv zu werden. Unabhängig wie sich Bayern entscheiden mag, der bewusste Umgang mit Lebensmitteln und der eigenen Ernährung muss in Bildung und Politik einen entscheidenden Stellenwert bekommen.
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