Bei der zweiten Veranstaltung von JEF-Talks haben wir mit ausgewählten Expertinnen und Experten über das Thema einer möglichen Europäischen Armee gesprochen. Während die „Europaarmee“ bereits im Rahmen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) in den 50er-Jahren erstmals scheiterte, assoziiert der heutige Ausdruck einer möglichen EU-Armee unterschiedliche Konzepte innerhalb der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (GSVP). Welche dieser Szenarien sind realistisch oder ist das gesamte Projekt EU-Armee überhaupt umsetzbar? Diese und weiteren Fragen behandelten wir in vier verschiedenen Unterthemen. Neben der gemeinsamen Rüstungspolitik wurden die Themen der Finanzierung, Transformation und De-(Zentralität) behandelt.

Für diese Diskussion waren vier Experten aus Politik, Recht und der Sicherheits- und Verteidigungsbranche geladen. Die erste Zusage erhielten wir von Frau Dr. Ulrike Franke, die Teil des Europan Council on Foreign Relations ist und den Sicherheitspodcast „sicherheitshalber“ gestaltet. Ihr folgte Simon Bohrenfeldt, Zeitsoldat und derzeit Offiziersanwärter bei der deutschen Bundeswehr. Aus dem Rechtsbereich hatten wir Dr. Walther Michl, einen EU-Verfassungsrechtler, zu Gast. Zuletzt bekamen wir dann außerdem noch die Zusage von Herrn Markus Ferber, der als Mitglied des Europäischen Parlamentes und der Europaunion Deutschland die politische Seite der Debatte vertrat.

 

Einleitender Vortrag zum Thema

Damit alle Teilnehmer einen Überblick über das Thema erhalten, gab es zu Anfang einen kurzen Inputvortrag zum aktuellen Stand der europäischen Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, den die AG Programmatik vorbereitet hatte.

Sie erklärten den Teilnehmern, wie bereits 1952 der Pleven-Plan, als Sicherheits- und Verteidigungskonzept, an Frankreich scheiterte. Dies war jedoch nicht das Ende, sondern der Anfang einer langen Debatte. Durch den Vertrag von Maastricht im Jahr 1992 wurden der EU bestimmte Befugnisse in diesem Bereich zugewiesen. Trotzdem zeigte sich bei den Jugoslawienkriegen eine gewisse EU-Handlungsunfähigkeit, welche 1997 in einer Kooperationsverstärkung mündete. Die Irak-Krise im Jahr 2003 verdeutlichte jedoch die Uneinigkeit zwischen der UN und der EU, welche eine mögliche gemeinsame starke europäische Haltung erschwerte.

Nachdem die europäische Verfassung 2005 scheiterte, schaffte es der Vertrag von Lissabon 2007 im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GVSP) die Rüstungspolitik verbessert zu regeln sowie eine Beistandsklausel hinzuzufügen. Schließlich ist mit der Einführung der PESCO (Permanent Structured Cooperation) 2017 die Zusammenarbeit innerhalb der GSVP institutionalisiert worden. Eine „Europäische Verteidigungsunion“ wurde in diesem Zuge als Fernziel formuliert.

Zu den aktuellen, militärische Fähigkeiten bleibt zu sagen, dass EU-Missionen freiwillig von nationalen Armeen durchgeführt, pooling und sharing (z. B. Hubschrauber), EU Battlegroups (seit 2007 im Einsatz) als multinationale Kampfverbände für schnellen Einsatz, große Überschneidung bei NATO und EU, GSVP als Ergänzung zur NATO, tendenzielle Wegbewegung von den USA, PESCO (Einsparung durch Zusammenarbeit aber langfristige Erhöhung der Ausgaben)

 

Eingangsstatements der Expert*innen

Nach dem kurzen Bericht der AG Programmatik ging es dann weiter mit den Eingangsstatements unserer Gastredner*innen. Die Frage an sie, um die sich das Statement drehen sollte war, welche Assoziationen sie mit dem Begriff „Europäische Armee“ verbinden und welche Themenbereiche sind in diesem Zusammenhang als besonders bedeutsam erachten.

Herr Ferber war der erste Gast, der zu dem Thema ein Statement abgegeben hat. Er sprach vor allem von den bisherigen Erfolgen der Zusammenarbeit, wie dem Binnenmarkt und einer europäischer Verteidigungsagentur. Auch im Bereich gemeinsamer Beschaffung habe man Fortschritte gemacht, es gebe ein Budget für Forschungspolitik im militärischen Bereich und man befinde sich auch allgemein im weiteren Ausbau der transnationalen Zusammenarbeit.

Frau Dr. Franke hingegen hat sich um einiges kritischer zu einer europäischer Armee geäußert. Ihrer Meinung nach klingt eine europäische Armee besser, als die Realität wäre. Es gebe zwei Varianten, so Franke: Die Streitkräfte schließen sich zusammen oder es wird eine neue Armee gegründet. Sie kritisierte hier jedoch, dass kein Land die eigene Streitmacht abgeben würde, sechs EU-Staaten verfassungstechnisch nicht beitreten dürften und dass die Entscheidungsmacht dann noch geklärt werden müsste. Gerade die Entscheidungsfrage sei eine ganz wichtige und kontroverse. 

Als Experte für rechtliche Angelegenheiten hat Herr Michl sich zuerst auf die vertraglichen Grundlagen bezogen. Er begann mit der Argumentation, dass durch eine politische Union die jetzige Situation und die Verträge dahingehend hätten anders sein können, dass eine europäische Armee viel weniger ein Problem geworden wäre. Da man sich damals jedoch für den wirtschaftliche Weg entschieden habe, sei eine gemeinsame Armee ein rechtlich schwieriges Thema geworden. Er gab auch zu bedenken, dass in manchen Staaten, wie Deutschland, das Militär an den Staat gebunden ist und daher nicht von der EU-Ebene geleitet werden könne.

Simon Bohrenfeldt, als Berufsoldat, stellte als erstes klar, dass alle abgegebenen Meinung seine Privatmeinungen sind und keine Aussagen der Bundeswehr. Er erklärte im Bezug auf die Fragestellung, dass aus Sicht eines Soldaten vor allem die klare Befehlshierarchie wichtig ist. Es muss geregelt sein, wer wem an welcher Stelle was befehlen darf. Als Motivationsgrund für das Engagement im Verteidigungswesen sei seiner Ansicht nach vor allem der Wunsch zur Erhaltung der deutschen Sicherheit – eine europäische Identität sei noch nicht sehr stark verankert.

 

Fragenhagel mit unseren Expert:innen

Im Anschluss an die Eingangsstatements folgte dann der Fragenhagel, bei dem unsere Moderatoren die Gäste vor allem zu bestimmten verteidigungspolitischen Themen gelöchert haben. Als erstes wurde über eine gemeinsame Rüstungspolitik gesprochen, es folgte Transformationen, dann ging es um zukünftige Schritte und die Frage wie und ob eine sachliche Diskussion über das Thema Verteidigungspolitik möglich wäre. 

 

Gemeinsame Rüstungspolitik: Sind PESCO-Projekte effektiv, sind Einsparungen erkennbar?

Frau Franke befindet  beispielsweise die multinationalen Bemühungen zwar als sinnvoll, erklärte aber auch, dass die Rüstungsprojekte zu lang und teuer seien. PESCO-Projekte seien aufgrund verschiedene Interessen der Akteure kaum besser. Herr Ferber hingegen eröffnete damit, dass zu Anfang alle bisherigen Integrationsfortschritte als undenkbar verschrien worden waren und sprach sich dafür aus, dass mehr probiert werden solle. Ein Problem sei dabei jedoch, dass es keinen europäischen Ansatz gebe. Nationalistische Rechnerei von Kosten und eigene nationale Nutzen stehen oft im Vordergrund. Es sei wichtiger im Namen des „european spirit“ gemeinsame Projekte angehen, wie europäische Impforganisation. PESCO, so Ferber, sei ein erster Schritt zu größerer Unabhängigkeit der EU.

 

Transformation: Abrüstung der bisherigen Struktur oder paralleler Aufbau?

(Wie kommt man zu einer gemeinsamen Armee? Was sind die größten Hindernisse? Was ist momentan möglich?)

Herr Michl kam als erstes darauf zu sprechen, dass für dieses Thema eine vertragliche Basis fehlt und merkte an, dass eigentlich eine Veränderung des Vertrags und damit der Struktur der EU nötig sei. Man bräuchte seiner Meinung nach einen Vertrag mit klarem Ziel zu Armeebildung. Soldat Simon Bohrenfeldt setzte nach, dass der „Spirit“ schon da sei, doch das Bewusstsein – auch in der breiten Bevölkerung – fehlt. Eine politische Bildung, sowohl für Soldaten, als auch für die Bevölkerung allgemein, sei ein guter Weg zur Bewusstseinsstärkung und fördere den Austausch mit anderen EU-Soldaten, durch den schrittweise Annäherung gut funktionieren könne.

Frau Franke merkte weiter an, dass es nicht nur ein logistisches und rechtliches Machbarkeitsproblem gebe. Viel mehr sei auch die Außen- und Sicherheitspolitik der EU-Staaten nicht einheitlich. Es gebe beispielsweise unterschiedliche, strategische Kulturen in den einzelnen Staaten. Auch Herr Ferber bestätigte, dass es noch ein langer Weg bis zur gemeinsamen Armee sei. Es gebe noch Artikel in den Verträgen, die diesem Vorhaben entgegenwirken, und auch sei die Ausbildung einer gemeinsamen Außenpolitik nötig. Herr Bohrenfeldt ergänzte außerdem noch, dass mit Erasmus für Soldaten zwar schon Möglichkeiten des Austausches und der Zusammenarbeit geschaffen wurden, diese jedoch mehr ausgeweitet werden müssten. Als Soldat wünsche er sich zukünftig außerdem beispielsweise ein (besseres) Bewusstsein für das soldatische Leben und eine Stärkung dessen oder auch eine verbesserte Ausrüstungspolitik.

 

Was sind die nächsten Schritte (auch bei PESCO)?

Herr Michl machte hier wieder den Anfang und begann mit dem Apell der Amerikaner zu mehr Selbstständigkeit Europas und strategischer Positionierung. Er erklärte weiter, dass es jedoch in der Praxis einige Hürden gebe, wie beispielsweise dass kein EU-Budget für eine Armee vorgesehen ist und auch dass es keine Stelle zur Entscheidung über deren Einsatz gibt. Frau Franke ergänzte ebenfalls kritisch, dass beispielsweise Battlegroups nicht eingesetzt werden würden aufgrund von Uneinigkeit. Zu PESCO merkte sie an, dass nicht alle EU-Mitglieder Teil von PESCO sind und dies daher nicht der erste Schritt zu einer gemeinsamer Armee seien könne. Erst wären nationale Pläne und Einstellungen zu klären – gerade auch in Deutschland. Sie sprach sich dafür aus, dass die Stärkung der NATO durch Europa ein möglicher Lösungsansatz seien könnte. Abschließend zu dieser Frage begann Herr Ferber damit, dass die EU sich auch zu direkten Nachbarn und deren Handlungen besser positionieren müsse. Er gab jedoch auch zu, dass die EU nie an NATO herankommen werde und dies auch gar nicht versuchen solle. Ein viel größeres Problem stellen, seiner Meinung nach, für Europa beispielsweise Afrika, Russland und Syrien da.

 

Wie wären sachliche Diskussionen zu Sicherheitspolitik möglich? (bzw. Überzeugung der Bevölkerung von europäischer Armee)

Soldat Simon Bohrenfeldt machte hier den Anfang. Seiner Meinung nach müsse Sicherheitspolitik im Wahlkampf mehr aufgegriffen werden, um auch die Zivilgesellschaft mehr einzubeziehen. Durch politische Bildung könnte das Bewusstsein für sicherheitspolitische Anliegen gestärkt werden. Frau Franke gab zu bedenken, dass im Zuge von sich vertiefender Integration die Diskussion und bisher noch ausstehende Überzeugungsarbeit vielleicht überflüssig wird.

Herr Michl ergänzte auch, dass für eine Europäische Armee jeglicher Form noch einige Staaten zu dieser Idee überzeugt werden muss. Staaten, wie Frankreich, die eine sehr starke, militärische Identität haben, wird eine gemeinsame Armee noch sehr kritisch gesehen. Zum Schluss gab Herr Ferber noch zu bedenken, dass das Leben, das wir aktuell führen, keineswegs garantiert ist und das gerne vergessen wird. Deutschland nimmt gern andere in die Pflicht, so Ferber. Er plädierte daher dafür, dass eine Ablegung der historisch begründeten Ausrede zur Nichtbeteiligung dringend nötig ist. Eine Zusammenarbeit sei schlicht nötig für eine fortlaufende Sicherheitsgarantie.

 

Abschlussstatement: Was sind nächste Schritte zu europäischer Armee?

Simon Bohrenfeldt, der das erste Abschlussstatement gab, wies daraufhin, dass kleine Schritte der Weg zum Erfolg sein könnten. Seiner Meinung nach muss auch die Zivilgesellschaft besser eingebunden werden.

Herr Michl fuhr fort mit der Idee, dass über einen wirtschaftlichen Weg Harmonisierung geschaffen werden kann. Gemeinsame Beschaffungswesen, dann gemeinsame Symbole und dann vielleicht strategische Einigkeit schaffen könnten mögliche Entwicklungen sein.

Frau Franke hingegen sieht eine gemeinsame Armee nicht als Ziel. Ihrer Meinung nach müssen die EU-Staaten ihre Interessen formulieren und harmonisieren (vor allem auch bei der Außenpolitik) und Kompromisse bei gemeinsamer Beschaffung seien nötig aber wünschenswert. Der erste Schritt für mehr Zusammenarbeit sei auch die Thematisierung auf nationalen Ebenen und das Bewusstwerden der nicht ewig anhaltenden Sicherheit.

Abschließend gab Herr Ferber noch an, dass für ihn der erste Schritt eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sein muss und dass es dafür auch ein paar Vorreiterstaaten in der EU braucht.

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